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Heute Abend tabuisieren wir nicht - UK-Theatergruppe der Stiftung KBZO bringt „Rollin’ Love" auf die Bühne des Theaters Ravensburg

16.06.2016

RAVENSBURG (sz) - Voller Spannung haben die Zuschauer im ausgebuchten Theater Ravensburg am Dienstagabend dem Spielbeginn von „Rollin´Love“ entgegen gefiebert. Fünf junge Schauspieler mit Behinderung der UK-Theatergruppe der Stiftung KBZO haben sich dem Thema Pubertät angenommen. So wie diese Lebensphase jeden Jugendlichen trifft. Begeistert gab sich das Publikum über die Inszenierung, die mit viel Freude, Witz und Humor emotionale Höhenflüge und Tiefgänge aufs Trapez brachte.

Die Bude ist voll, freute Schauspieler Alex Niess sich über den großartigen Zuspruch. Er betreut die Theatergruppe pädagogisch unter der Regie von Thorsten Mühl. Ein Jahr lang hätten sie jede Woche zwei Stunden geprobt, sagte der Theatermacher Mühl vom KBZO. Es ist das dritte Stück, das Niess mit anleitet und für ihn zugleich die aufregendste Sache. Denn der technische Aufwand einschließlich Videoeinspielungen sei enorm und dabei könne auch mal etwas schiefgehen. Ging es aber nicht und selbst wenn, hätte das keine Rolle gespielt. Denn gegenseitiges Helfen sei hier Prinzip. Eine Ansage, die bei allen sofort für Entspannung sorgte. Max „der Gauner“, Silvan „der Hacker“, Hendrik, der für Flo „der Schleifer“ eingesprungen ist, Lukas „Romeo“ und Hannes als „Boss“ der Bande, die in Begleitung von ihren „Talkern“ und ausgestattet mit ungewöhnlichen Kommunikationsmitteln auf die Bühne rollten. Hendrik ist der einzige unter den Darstellern, der laufen und sprechen kann. Die anderen sitzen in Rollstühlen und verständigen sich mittels ihrer Talker über ein technisch ausgeklügeltes Sprachsystem – ausgelöst über Fuß oder Knie, Auge oder Finger je nach Handicap.

„Wenn wir die Menschen mit Behinderung, die mit uns im Alltag leben, ernst nehmen, dann müssen wir auch ihre Bedürfnisse ernst nehmen“, schickte Thomas Sigg als Geschäftsbereichsleiter Schulen und Kinderbetreuung der Stiftung KBZO voraus. Zu diesen Bedürfnissen gehöre auch Liebe und Sexualität. Sperrige Themen seien das. Noch sperriger würden sie im Falle von jungen Menschen mit Behinderung.

„Warum starren uns alle so an? – Die wollen, dass es losgeht!“, nahmen die Darsteller ihr Spiel auf. Die Dialoge im Straßenjargon flogen wie Bälle hin und her und schnell gelang es, den Akteuren die verschieden tönenden Stimmen zuzuordnen. Dem rabiaten Boss und Lukas, der voll erwischt vom Liebestaumel, endlich auch ein Mädel abbekommen will. Sehr zum Leidwesen seiner Freunde, die das für unmöglich halten und ihm viele Steine in den Weg legen.

„Adonis“ auf dem Weg zu „Venus“

Doch Lukas lässt sich nicht so leicht entmutigen und begibt sich im Alleingang zum Chatten ins Internet. Als „Adonis“, um seine „Venus“ kennenzulernen. „Hallo Venus, ich weiß auch nicht, wo ich anfangen soll“, tippt er in die Tasten. Und dann „Oh Shit, das Ding ist raus!“ Löschen geht nicht mehr. Lukas lügt das Blaue vom Himmel herunter, um bei der Schönen anzukommen, die eigentlich Ida heißt und ganz irdisch aussieht. Beide sind tief enttäuscht vom jeweils anderen und reagieren mit befreiender Ironie. „Hallo, wie läuft´s bei dir? – Besser wie rollt´s!“ oder „Mensch mit Assistenzbedürfnis ist korrekt“ kontra „Oh, Mann, ich bin auch nur ein dünnes Mädchen, das zu viel Schokolade isst.“ Der Boss und die Bande machen ihm das Verliebtsein schwer, hacken sich in seinen Account ein, machen sich lustig über das ungleiche Paar. Bis Hendrik als gewiefter Kommissar zur Rockmusik eines „High Noon“ aus dem Off hinein stürmt und den Fall aufklärt. Ida und Lukas treffen sich noch einmal, reden sich Mut zu, schließlich sind sie keine dieser langweiligen Normalos. Gute Freunde wollen sie bleiben, nur das lässt Lukas nicht auf sich sitzen. Er spricht Klartext, will einen anderen Körper ohne Behinderung haben. Will raus aus seiner Haut, denn wenn es um Sex gehe, gebe es keinen Behinderten-Bonus. Lukas ist es, der das Tabu bricht, steht mit Hilfe zweier adretten Frauen aus seinem Rollstuhl auf und läuft.

Quelle: Schwäbische Zeitung Ravensburg/Weingarten vom 16. Juni 2016
Text: Babette Caesar
Fotos: Clemens Riedesser

"Adonis" trifft "Venus".

Hauptdarsteller mit Charme und Charisma: Lukas alias "Adonis".

Hendrik (vorne) musste für Flo einspringen und machte seine Sache sehr gut.

Die Crew verneigt sich vor ihrem Publikum ...

... das begeistert applaudiert.
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