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Wolfgang Marcus besucht die Sauterleuteschule +++ Zeitzeuge berichtet über sein Leben am Rande der Gesellschaft

11.12.2015

WEINGARTEN – Die Sauterleuteschule ist die Sonderberufsfachschule der Stiftung KBZO und beschäftigt sich in diesem Schuljahr im Fach Gemeinschaftskunde mit der deutschen Vergangenheit. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Nazideutschland hat der 88-jährige Zeitzeuge Dr. Wolfgang Marcus aus seinem Leben am Rande der Gesellschaft berichtet.


Von Thomas Mohn und Martin Roller


Als Sohn eines jüdischen Vaters schildert er, wie seine Familie um die wirtschaftliche Existenz betrogen wird. Der Jugendliche Wolfgang wird der Schule verwiesen und fristet ab dieser Zeit ein Leben ohne Bildungschance. Mit Hilfe eines Jesuitenpaters erlernt er Latein und Griechisch. Erst als Flakhelfer begegnet er seinen Klassenkameraden auf Augenhöhe. An der Ostfront verweigert er den Schießbefehl an wehrlosen polnischen Soldaten. Mit „hau ab, ich will dich hier nicht mehr sehen“ tolerierte der Vorgesetze sein Auflehnen gegen das Unrechtssystem. Ein gutes Beispiel dafür, dass mehr Widerstand vom Einzelnen möglich gewesen wäre.

Nach dem Krieg erhielt Marcus seine Bürgerrechte zuerkannt. Dadurch konnte er wieder politisch aktiv werden. Nachdem er sich aber als Dresdner Bürger weigerte, in die Einheitspartei der DDR einzutreten, schob ihn diese wieder an den Rand der Gesellschaft. Nach seiner Festnahme konnte er vom Gefangenentransport abspringen und sich in den Westen absetzen.

In Weingarten wurde Marcus später als Professor der Pädagogischen Hochschule bekannt. Seine erfolgreichsten Jahre erlebte er nach eigenem Bekunden aber im sächsischen Landtag in Dresden. Nach der Wende leistete er dort 15 Jahre Aufbauhilfe.

Die letzten Jahre widmet sich Marcus der NS-Dokumentation in Oberschwaben. Wie perfide die schrittweise Ausgrenzung von Juden, Sinti, Roma und Behinderten funktionierte, schilderte er den Schülerinnen und Schülern anhand mehrerer Beispiele: „Die Sterilisation von 600 unerwünschten Personen erfolgte im Heilig-Geist-Spital in Ravensburg; von den 1400 Zwangsarbeitern, die in Weingarten in verschiedenen Fabriken eingesetzt waren, fanden nach heutigen Erkenntnissen 278 Personen den Tod.“

Mehr als zwei Stunden berichtete Wolfgang Marcus sehr spannend über seinen Überlebenskampf in Nazideutschland und anschließend im SED-System. Es war schön zu sehen, wie die Schüler nach einer kurzen Schweigeminute ihre Fragen und Nöte zur Flüchtlingslage in Europa, zu Pegida und drohenden Angriffen der IS vorbrachten. Hier zeigte der politische Redner seinen Weitblick, in dem er die historischen Beispiele des Widerstands mit aktuellen Lösungsansätzen verband.

Dr. Ulrich Raichle, Vorstandsvorsitzender der Stiftung KBZO, erinnerte daran, dass Professor Marcus die Umwidmung der allgemeinbildenden KBZO-Schulen zur Geschwister-Scholl-Schule zum Anlass nahm, dies in seiner jüngst erschienenen Broschüre „Denkstätte Widerstand Weingarten – Campus Weiße Rose – Widmungshäuser“ zu würdigen. In diesem Zusammenhang dankte Raichle Wolfgang Marcus – und auch der Sauterleuteschule „für die historische Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich“.

Bereits im Oktober waren alle Schüler der Sauterleuteschule im ehemaligen Konzentrationslager in Dachau. Dort besuchten sie einen der bekanntesten Zeitzeugen in Deutschland: Dr. Max Mannheimer. Der 95-Jährige überlebte vier Konzentrationslager und entging mehrfach knapp dem Tod. „Beide Zeitzeugen verbindet der Auftrag, die Geschichte wach zu halten, damit sich solches Unrecht nicht mehr wiederholt“, sagte Martin Roller, Lehrer an der Sauterleuteschule.

@ www.facebook.com/stiftungkbzo

Einige Schüler und Lehrer nahmen am Ende des bewegenden Vortrags Professor Wolfgang Marcus für ein Gruppenfoto in ihre Mitte. Foto: Clemens Riedesser

Irene Grohm, Fachbereichsleiterin der hauswirtschaftlichen Sonderberufsfachschule, bedankte sich bei Professor Wolfgang Marcus im Namen der Sauterleuteschule für den bewegenden Vortrag mit einem Präsent. Foto: Clemens Riedesser
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